Alexandra: Unvergessen

Am 31. Juli 2019 jährt sich zum fünfzigsten Mal der Todestag einer ungewöhnlichen Interpretin. Alexandra war 27 Jahre, ihre Showkarriere befand sich zwei Jahre nach dem Start noch im Steigflug, als sie im Sommer 1969 auf dem Weg in den Sylt-Urlaub tödlich verunglückte. Bis heute ranken sich Mord- und Selbstmordgerüchte um den frühen Tod.

„Sie sind sexuell unbefriedigt.“ Mit dieser plumpen Anmache weckte Hans R. Beierlein im Herbst 1967 erst Empörung, dann Neugier bei der jungen Sängerin. Sie hatte in Berlin im Vorprogramm eines Adamo-Konzerts die Zuschauer von den Sitzen gerissen. Beierlein erklärte ihr den Zusammenhang von erfülltem Sexleben und guten Bühnenauftritten aus seiner Sicht. So penetrant, dass er ihr Vertrauter, dann Geliebter und Manager wurde. Letzteres blieb er auch, als die private Beziehung zerbrach.

Durch die frühe Ehe mit einem dreißig Jahre älteren Russen war Alexandras Showkarriere erst spät ins Rollen gekommen. Nikolai Nefedov entschwand nach der Trennung Richtung Boston, unter Hinterlassung des Sohnes Sascha (Alexander).

Produzent Fred Weyrich, der talentsuchende Bohlen-Faktor der Sechziger Jahre, gilt als Entdecker von Doris Treitz, er riet ihr auch zum Künstlernamen Alexandra. Und er überzeugte seine Plattenfirma zur ungewöhnlichen Maßnahme, als erstes eine Langspielplatte aufzunehmen. Erst Monate später wurde daraus die Single „Zigeunerjunge“ ausgekoppelt. Bandleader Hazy Osterwald nahm die junge Künstlerin 1967 mit auf Russlandtournee, Starregisseur Truck Branss drehte mit ihr ein aufsehenerregendes TV-Porträt und Beierlein brachte sie mit französischen Chansonsängern und vor allem mit Udo Jürgens zusammen. Er ermunterte sie auch, eigene Lieder zu schreiben. So entstand mit „Illusionen“ ein internationaler Erfolg: Alexandra dichtete, Udo komponierte. Der Titel („If I never sing another song“) wurde von Sammy Davis jr. aufgenommen, von Shirley Bassey und anderen Stars dieses Kalibers.

Alexandra, geboren im Memelland (heute Litauen), wurde von Beierlein und Weyrich als Künstlerin mit russischer Seele aufgebaut. Die tiefe melodische Stimme, die slawisch geprägten Gesichtszüge, die geheimnisvolle Melancholie und eine unberechenbare Explosionskraft beeindruckten einflussreiche Männer in der Musik- und TV-Szene. Es gab keine Unterhaltungssendung in Deutschland, in der Beierlein Alexandra nicht unterbrachte. Sie hetzte von Auftritt zu Auftritt, tourte durch Südamerika, verliebte und entliebte sich mehrfach in rasanter Folge – und fühlte sich physisch und psychisch ausgelaugt, als sie zum ersten Urlaub in ihrer zweijährigen Steil-Karriere aufbrach.

Auf einer Kreuzung im holsteinischen Tellingstedt nahm Alexandra einem LKW die Vorfahrt. Sie starb in den Trümmern ihres Mercedes 220 SE, ebenfalls ihre Mutter. Nur Sohn Sascha überlebte auf der Rückbank. Er wuchs beim Vater in Boston auf, ist ebenfalls Musiker und kommt einmal im Jahr nach Deutschland, um die Tantiemen aus den Plattenverkäufen seiner Mutter abzurechnen.

„Alexandras Plattenverkäufe sind nach ihrem Tod explosionsartig in die Höhe geschossen“, sagt Beierlein. Zu ihren Lebzeiten kamen drei LPs heraus, nach ihrem Tod bislang unendlich viele – an den meisten Titeln hält montana-media die Rechte. Der Song „Mein Freund, der Baum“ wurde 1969 erst posthum als Single ausgekoppelt, entwickelte sich zu einer Hymne der Umweltschützer – und wer zählt sich nicht dazu? Als die „Freizeit-Revue“ eine Leserumfrage der beliebtesten Lieder des Jahrhunderts initiierte, landete der Baum-Song auf Rang drei.

Beierleins Erinnerung an Alexandra ist indes nicht nur kommerziell geprägt: „Sie hat die schönsten Liebesbriefe der Welt geschrieben.“ So schön und bewegend, dass er sie bis heute aufbewahrt.

Die unvergesslichen Lieder der Sängerin bewegten Deutschlands Musical-Schreiber Nummer eins, Michael Kunze, zu einer musikalischen Biografie: 2011 hatte das Musical „Alexandra“ am Berliner Schlossparktheater Premiere. Jasmin Wagner, in den 1990er Jahren als „Blümchen“ selbst Hitparadenstürmerin, übernahm die Hauptrolle. Auch auf anderen Bühnen werden immer wieder Stücke gespielt, die sich mit Alexandra befassen – einer Künstlerin, die eine unheimliche Todesserie eröffnete: Sie zählte zu den ersten des legendären „Klub 27“. Wie sie starben im Alter von 27 Jahren so berühmte Kollegen wie Brian Jones, Jimi Hendrix, Janis Joplin, Jim Morrison, Kurt Cobain oder Amy Winehouse.

 

Glorreiche Sieben 1968: Hans R. Beierlein, Fred Weyrich, Helmut Zacharias, Alexandra, Udo Jürgens, Joachim Relin, Walter Brandin

Alexandra

Vertragsunterzeichnung mit HRB und Entdecker Fred Weyrich