Jacques Brel: Welttheater in 3 Minuten
Für das französische Chanson ist Jacques Brel das, was Elvis Presley für den Rock’n’Roll ist – der Inbegriff überhaupt. Dabei stammte der Chansonnier, der im April 2019 neunzig geworden wäre, aus Belgien. Statt die elterliche Kartonfabrik zu übernehmen, schnappte er sich 1954 die Gitarre, trampte nach Paris und durfte im Vorprogramm des „Olympia“ ein paar Wochen später seine ersten eigenen Lieder zum besten geben.
montana-Chef Hans R. Beierlein, wie Brel im April 1929 geboren, erlebte den Künstler Anfang der Sechziger Jahre bei einem seiner legendären Bühnenauftritte im Pariser „Olympia“. Der „Spiegel“ beschrieb ein Brel-Konzert damals so: „Er brachte sich seinem Publikum emphatisch und ungestüm wie ein singendes Tier dar. Er grimassierte und fuchtelte, und er sang dabei mit pathetischem Elan, mal frivol und salopp, mal larmoyant, oft verhalten, meist aggressiv und bisweilen auch mit sehr viel Geschmack fürs Makabre.“ Brel galt seit den 60er Jahren als der Kultstar der Chanson-Szene. Künstler wie Juliette Gréco verdankten ihm große Erfolge, die meisten Lieder aber schrieb er für sich selber – und er offerierte sie seinem Publikum auf zahlreichen Tourneen. Dabei gab er sich auf der Bühne so exzessiv und zwiespältig wie im Privatleben. In Paris ließ er es mit seinen großen Lieben krachen, zwischen den Tourneen führte er in Brüssel mit Frau und Kindern ein bürgerliches Leben.
Beierlein war fasziniert von der künstlerischen Vielfalt, übernahm die Rechte der Brel-Songs für Deutschland, suchte Top-Autoren für die Übersetzungen und fand mit Michael Heltau den geeigneten Interpreten. Auch für den Manager überraschend kündigte Brel Ende 1966 den Abschied von der Bühne an. Er wechselte ins Leinwand-Metier, drehte ein Dutzend Filme, zuletzt 1973 „Die Filzlaus“ mit Lino Ventura.
Kurz darauf musste dem Kettenraucher ein Teil der Lunge entfernt werden. Nach überstandener Operation zog er sich nach Hiva Hoa, eine kleine Insel bei Tahiti, zurück. Zwei Jahre später, 1977, veröffentlichte er überraschend eine neue LP, die in Frankreich Millionenauflagen erreichte und in Brels belgischer Heimat wegen Flamen-Schelte das Parlament beschäftigte. Am 9. Oktober 1978 starb Jacques Brel mit nur 49 Jahren. Er wurde auf seiner Pazifikinsel bestattet, nur wenige Meter neben dem Grab des Malers Paul Gauguin, der auf der Insel gelebt hatte.
Beierlein ließ die deutschen Fassungen der Brel-Lieder weiterhin von Michael Heltau vortragen und fand 1976 mit der ZDF-Sendung „Liedercircus“ das passende Forum. Seit 1985 gibt es gibt es sie nicht mehr, Brels Lieder aber werden nach wie vor von Topkünstlern neu aufgenommen, und das nicht nur in Frankreich. Opernstar Gunther Emmerlich sang mehrere Titel in eigener, überraschender Version und sogar Soulsänger Xavier Naidoo nahm Brels erfolgreichstes Lied auf: „Amsterdam“.
