Udo über alles

Und immer wieder geht die Sonne auf… Als sie an jenem September-Morgen anno 1994 einen ersten Blick auf München warf, mag sie sich erstaunt die schlaftrunkenen Augen gerieben haben. Spazierten doch zwei Mannsbilder reiferen Alters Arm in Arm aus Kays Bistro, voll des Weines und der guten Absichten: Sie schworen einander, die alte Freundschaft fortzusetzen, die 15 Jahre danieder lag, in Gerichtsälen und in den Medien zertrampelt. Und kein Paparazzo war um diese Zeit zur Stelle, um die kleine Sensation zu dokumentieren: Das einstige Traumpaar der deutschen Musikszene, Udo Jürgens und Hans R. Beierlein, war wieder gut miteinander.

Vollbracht hat’s eine junge Frau, montana-Geschäftsführerin Bizzi Nießlein, der die sturen Kerle auf den Wecker gingen. „Sie hat das Treffen vorgeschlagen und arrangiert“, reflektiert der Manager. „Udo war sofort einverstanden.“ Und als sie sich vor der langen Nacht in Kays Bistro bei Käfer gegenübersaßen, „da war es, als hätten wir uns am Vorabend getrennt. Keine Vorwürfe, keine Schuldzuweisungen, aber jede Menge Erinnerungen.“ Mehrfach haben sich die beiden Herren in den Folgejahren getroffen, es gab schließlich manches zu bereden, da die erfolgreichsten Udo-Titel in der Edition Montana vermarktet wurden. Udos unverhoffter Tod Ende 2014 traf seinen neun Jahre älteren Ex-Manager schwer. In einem Schnellschuss-Buch des „Bunte“-Autors Paul Sahner (+2015) reflektierte er die Erfolgsstory.

Der Urknall
Erinnerungen an 15 Jahre voller Highlights, voller Power, voller Kassen. Udo Jürgens mutierte vom Hungerkünstler zum internationalen Star, Hans R. Beierlein vom Musikverleger zum Medien-Zampano und wichtigsten Strippenzieher des Show-business. Die Anfänge reichen im schnelllebigen Gewerbe in geradezu biblische Dimensionen zurück, bis Anfang der 60er Jahre.

Udo Jürgen Bockelmann, 1934 in Klagenfurt geboren, ging schon stramm auf die dreißig zu, als Hans R. Beierlein 1963 auf ihn prallte. Nach einigen erfolglosen Platten unter dem auf Udo Jürgens zurechtgestutzen Namen und einigen peinlichen Filmen wollte der hoffnungslose Künstler eigentlich nur noch komponieren und musizieren. Immerhin hatte Shirley Bassey seinen Song „Reach for the Stars“ aufgenommen. Kurt Feltz, sein Plattenproduzent beim Billiglabel Helidor ignorierte den Erfolg und wollte Udo auf Freddy Quinn trimmen.

Beierlein sollte damals im Auftrag der Deutschen Grammophon bekannte und unbekannte Künstler nebst ihren Liedern in Filmen platzieren. Bei dieser Suche traf er in der Münchener Pension Georgia auf Udo und seinen Freund Frank Forster. „Nach einigen Gesprächen mit Udo war mir klar, wo seine Kompetenz lag. Ich habe ihm vorgeschlagen, Lieder für sich selber zu schreiben.“ Der Titel „Tausend Träume“ gefiel Beierlein und nachdem er in einem rheinischen Leimfabrikanten einen Financier gefunden hatte, konnte Udo die Platte aufnehmen. Sie wurde zumindest in seiner österreichischen Heimat ein Erfolg.

Der Durchbruch
So gross, dass der ORF Udo als Vertreter der Alpenrepublik zum Grand Prix Eurovision nach Kopenhagen entsandte. 1964 erreichte er mit „Warum nur, warum“ einen sensationellen fünften Platz. Im Jahr drauf in Neapel brachte „Sag ihr, ich lass sie grüßen“ Rang vier. 1966 musste Beierlein seinen Künstler fast in Ketten schmieden, um ihn zum dritten Mal durch die Nervenmühle „Grand Prix“ zu drehen. „Die „Bild“-Zeitung erschien am Tag des Wettbewerbs mit der aufbauenden Schlagzeile ‚Udo Jürgens ohne Chance’“, erinnert sich Beierlein. „Wir haben in ganz Luxemburg die Zeitungen aufgekauft, damit Udo nicht völlig durchdrehte.“ Diesmal wurde der Plan erfüllt – mit „Merci Chérie“, getextet von Tommy Hörbiger, gewann Udo Jürgens den „Grand Prix“ überlegen in Luxemburg für Österreich.

Das bedeutete den internationalen Durchbruch. Beierlein, der inzwischen den Musikverlag montana gegründet hatte, vermarktete Udos Titel weltweit. Matt Monro, Bing Crosby, Shirley Bassey oder Sammy Davis jr. nahmen englische Versionen auf. Udos Originalplatten waren in vielen Ländern zu haben.

Journalist Beierlein, ein Mann der originellen Wortwahl, tat Top-Autoren auf: Der begnadete, wenn auch skurrile Walter Brandin textete hinter verriegelter Haustür „Es wird Nacht Senorita“ oder „Anuschka“. Der Satiriker Eckhard Hachfeld schrieb sozialkritisch „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ und diätkritisch „Aber bitte mit Sahne“. „Blacky“ Fuchsberger dichtete einige Titel, darunter „Was ich dir sagen will.“ Und schließlich gewann Beierlein den kaum 30-jährigen Nachwuchsautor Michael Kunze als Udos Hofschreiber. Gemeinsam ersann man Themen und Zeilen, „Das ehrenwerte Haus“ und „Griechischer Wein“ sind die bekanntesten Kunze-Werke für Udo Jürgens. „Udos Lieder waren keine herkömmlichen Schlager“, sagt Beierlein. „Es waren immer erzählte Geschichten, fröhliche oder nachdenkliche, mit Wortwitz und stets am Puls der Zeit.“

On Tour
Beierlein hatte früh die Bühne als Udos natürlichen Lebensraum ausgemacht. „Von der zweiten Sekunde an haben wir ihn auf Tournee geschickt“, sagt er. Die Bühnen wurden immer größer, die Reisen immer länger und weiter. Udo trat in Frankreich auf und in Russland, in Südamerika und in Japan und sogar im damals fernsten aller Länder, der Deutschen Demokratischen Republik. Nach seinem Gastspiel im Ostberliner Friedrich-Stadt-Palast musste er mit dem Panzerwagen aus dem Publikum gefischt werden.

„Stern“Kolumnistin „Sibylle“ schwärmte nach einem Konzert: „Udo hat mehr als Stimme. Er hat das Gewisse, bei ihm gemischt aus Sentiment und Sex, Schwermut und Leichtsinn, Schlaksigkeit und Ehrgeiz. Er ist jetzt 33, noch ein Knabengesicht, doch das Leben hat hart hineingeschrieben, Furchen um den Mund, die etwas zu große Nase, Trauer in den Augen. Wenn er singt, ‚Warum nur, warum’, werden die Leiden des jungen Werther wieder verständlich. Er ist der Geliebte, dem auf der Stirne steht: Nicht von Dauer, ein asketischer Jochanan, dem Verführen wie Verführtwerden zuzutrauen ist …“

Am 6. September 1969 startete Udo die bis heute größte Tournee, die je in Europa stattgefunden hat – „Udo 70“. Beierlein peitschte den Ehrgeiz des Künstlers immer wieder und immer wieder an, forderte, versprach, drohte. 266 Konzerte mit über einer halben Million Besuchern standen am Ende in der Bilanz, und ein halber Nervenzusammenbruch des Künstlers. Aber kein Konzert war zu anstrengend und zu lange, als dass da nicht noch Lust auf nächtliches Bettgeflüster gewesen wäre. „Meine wilden Jahren waren geprägt von der Sexwelle der 68er, ausgelöst durch die Erfindung der Pille“, sagt Udo. Schwer wurde es weder ihm noch dem Manager gemacht: Erfolg macht sexy und bekanntlich hat, wer Klavier spielt, eh Glück bei den Fraun…

Krisen
Udos Ehe mit Panja, 1964 geschlossen, war längst gescheitert. Sie blieben wegen der Kinder Jenny und Johnny noch jahrelang verheiratet, akzeptierten in einem vieldiskutierten Arrangement die neuen, wechselnden Romanzen des Ehepartners. 1972 brachte eine Enttäuschung für Udo. Sein Musical „Helden, Helden“, nach einem Stück von George Bernard Shaw, feierte in Wien zwar Triumphe, aber keine weitere namhafte Bühne übernahm es. Zeit zum Grübeln blieb kaum – montana organisierte weitere Tourneen, durch deutsche Lande und rund um die Welt. Der „Griechische Wein“ wurde zum Hit des Jahres 1976, aber Udo hatte, wie er in seinen Büchern schrieb, seit der Musical-Erfahrung das Gefühl, auf dem absteigenden Ast zu sein. Zu allem Überfluss mokierten die österreichischen Finanzbehörden das Steuersparmodell ihres berühmten Exportartikels und verlangten eine Nachzahlung in Millionenhöhe.

Der Künstler und sein Manager führten immer kürzere, immer unpersönlichere Gespräche. „Nach 15 Jahren gab es Abnutzungserscheinungen“, sagt Beierlein. „Wie bei einem alten Ehepaar.“ Udo fühlte sich ausgelaugt, der Manager beklagte Udos mangelnde Begeisterung für neue Projekte. Hinzu kamen Hahnenkämpfe um die Gunst von Damen.

Krieg und Frieden
Udos Kündigung kam für Beierlein überraschend. „Wir haben uns nicht ordentlich getrennt, sondern sehr proletenhaft“, sagt er heute selbstkritisch. Dennoch überraschte ihn die Härte, mit der sein Ex-Künstler nun gegen ihn vorging. Udo wollte alle seine Titel aus dem montana-Musikverlag abziehen, leierte sieben Verfahren an. Er gewann die erste Instanz. Beierlein ging in Revision und gewann. Udo ging in Revision zum Bundesgerichtshof – und der schmetterte seine Klage endgültig und umfassend ab, ähnlich der oberste österreichische Gerichtshof. „Udo hat die Klagewelle rund eine Million gekostet“, sagt Beierlein. „Das hätte man mit ein paar vernünftigen Gesprächen einsparen können.“

17 Jahre lang gab es nun keinerlei Gespräche, auch in Interviews sprach niemand über den anderen. Man hatte für Zuwiderhandlungen eine Geldbuße von 500.000 Mark vereinbart und auf diese Ausgabe war niemand scharf. Udo zog nach Zürich. „Er wurde und wird von Freddy Burger professionell gemanagt“, urteilt der Ex-Manager. Udo ging weiterhin auf Tourneen, hatte auch weiterhin Hits, verfasst von seinem neuen Autor Wolfgang Hofer. Der größte: „Buenos dias Argentina“ zur Fußball-WM 1978. Insgesamt hat Udo Jürgens 900 Lieder komponiert und gesungen und über hundert Millionen Tonträger verkauft

„Als ich das Abba-Musical in London gesehen habe“, schildert Beierlein, „habe ich spontan dran gedacht, dass so etwas auch mit Udos Liedern erfolgreich sein könnte. Es war zwar schwierig, weil die Lieder so unterschiedlich sind, aber den Autoren ist eine gescheite Lösung eingefallen.“ Ohne Frage: „Ich war noch niemals in New York“ läuft seit Dezember 2007  höchst einträglich auf großen Musicalbühnen landauf landab. Die erfolgreichste Musical-Company Stage Entertainment hat alle Aussichten, dass dieses Musical in der Hitparade der Musicals einen der vordersten Plätze einnimmt.

Ob Udos Karriere ohne Trennung anders verlaufen wäre? Beierlein: „Ich hätte den Versuch unternommen, in China zu landen.“ Ob es gelungen wäre, ist ein müßiger Gedankengang – erst recht nach dem viel zu frühen Tod des Entertainers. Zwischen zwei Tourneeblöcken brach Udo am 21. Dezember 2014 während eines Spaziergangs in seinem Schweizer Wohnort Münsterlingen zusammen. Beierlein resümiert im eingangs erwähnten Sahner-Bestseller: „Ich habe viele andere bekannte Künstler gemanagt. Aber keiner stand mir je so nah, wie der Mann, der mir vor über fünfzig Jahren sein kleines Lied vorstellte. Den ‚Tausend Träumen‘ sind tausend Lieder gefolgt, große Hits und leise Melodien, alle aber unverkennbar geschaffen von Udo Jürgens. Er machte keine Musik, er war Musik. Die Welt ist ärmer geworden am 21. Dezember.“

HRB mit Ehepaar Panja und Udo Jürgens

Mit Edel-Textdichter Eckhardt Hachfeld

Nach langem Streit kommt es 1994 zum Versöhnungsgespräch zwischen Künstler und Ex-Manager